Coldplay feat. Little Simz, Burna Boy, Elyanna & Tini - We Pray

Das Gebet war einmal tiefste authentische Gefühlsäußerung persönlicher Betroffenheit. Da wurde eine Herzensangelegenheit einer höheren Macht anvertraut. Hier wird es zum unverbindlichen Trallallala im Rahmen einer netten Wiedersehensparty.

Und christliche Gruppen wie jesus.ch stürzen sich darauf und bejubeln glücksberauscht die Wiederentdeckung der Religion durch die Popmusik:

"Robin Ham fragt in einem christlichen Magazin nach: «Ist der Song ein Ruf an eine höhere Macht, ein Hilferuf oder nur ein Moment postmoderner Introspektion?» Er weist darauf hin, dass Coldplay immer wieder biblische Bilder verwendet, ohne dabei deutlich auf Gott hinzuweisen. Chris Martin bezeichnet sich seit Längerem als «Alltheist» – mehr als nur ein Wortspiel. «Gott ist die Magie in jedem Molekül, sogar in Menschen, die man nicht mag», hielt er fest. So ist «We pray» sicher keine gezielte Ansprache des biblischen Gottes, aber es ist trotzdem ein gemeinsames Gebet, ein Versichern der eigenen Belastbarkeit und ein Aufruf zur Liebe in unsicheren Zeiten.
Ein Stück weit geht es diesem Lied wie jedem Hilferuf. Da wird auch nicht immer der Adressat genannt, doch das bedeutet nicht, dass sich niemand angesprochen fühlt. Sollte Gott ernst gemeintes Gebet nicht hören? Robin Ham zieht jedenfalls als Fazit: «Zu wem beten wir? Für Christen ist es ein liebender Vater im Himmel, der durch Jesus unendlich persönlich und nahbar ist. Und obwohl ‘We pray’ nicht so weit geht, auf Gott als Vater zu verweisen, spielt es auf eine unverdiente Beziehung an, wenn es darin heisst: ‘Keep a smilin’ face only by his grace’ – Behalte dein lächelndes Gesicht durch seine Gnade allein.»"
(Quelle: https://www.jesus.ch/themen/gesellschaft/75703_coldplay_we_pray

Na dann, mögen die Verfasser des Artikels selig mitklatschen, -tanzen oder -singen.

Ähnliches hört man von Chris Martin selbst:
"In a recent interview, Chris mentioned that the song practically wrote itself during a sleepless night in Taiwan. This spontaneous creation reflects the urgency and sincerity of the lyrics — much like an unplanned prayer that emerges from a place of deep need.
The inclusion of real-life references, like the line about “Pray Virgilio wins,” grounds this prayer in the tangible struggles of our world, making it clear that this isn’t just about abstract ideas but about real people and real lives." "We are making fearless and authentic music, embracing discomfort to find something true."
Quelle: https://magneticmag.com/2024/08/coldplay-we-pray-lyrics-and-meaning/#we-pray-by-coldplay-meaning

Okay, wenn ich den Text lese, kann ich das halbwegs nachvollziehen. Aber wie in aller Welt passt die Trallalla-Musik dazu? Hallo? Wie passt dazu "urgency", "sincerity" und "deep need"? Kriege ich nicht zusammen! Wer oder was ist "Virgilio"? Fearless Music?
Bin ich vielleicht zu altmodisch, dass ich glaube, dass Text und Musik gefühlsmäßig einigermaßen zusammen passen und sich gegenseitig ergänzen sollten?
Kann ich ein Gute-Laune-Party-Mitsing-Liedchen tatsächlich zu einem intensiven Gebet komponieren?
What am I talking about? Chris Martin is simply "embracing discomfort to find something true". Ach so!!!

Nein, tut mir leid. Für mich ist dieser Song sinn- und inhaltsentleerter Religionspseudoquatsch, der mal eben als Thema auf einem Album mit dem vielsagenden Titel "Moon Music" tantiemenbringend an die Frau oder den Mann gebracht wird.
Zu allem Überfluss klaut "We Pray" die Akkordfolge und die Melodie vom Musical Comedy-Hauptsong "Sweet Charity: The Rhythm of Life"!
Puh! Hier steige ich aus. Nicht, und das muss einmal gesagt werden, weil der Song nichts taugt, sondern weil er sich thematisch in Sphären verirrt hat, wo Pop-Musik in mir immer schon schlicht das blanke Grausen erzeugt hat.
Umso schlimmer, dass er bei der Aufführung auf dem Glastonbury-Festival tatsächlich eine Aura erzeugt, die mich beinahe mitgerissen und zum Mitsingen veranlasst hätte.